CAPA: Korrekturmaßnahmen, Vorbeugungsmaßnahme


Was MDR und IVDR verwechseln und weshalb Sie nicht von CAPA sprechen sollten

Die FDA (im 21 CFR part 820 – QSR) und die ISO 13485 unterscheiden

  • Korrekturmaßnahmen (corrective actions),
  • Vorbeugungsmaßnahmen (preventive actions) und
  • Korrekturen (corrections).

Leider unterscheiden die MDR und die IVDR diese Konzepte nicht präzise. Auch viele Hersteller glauben, „corrective and preventive actions“ zu einem CAPA-Prozess zusammenfassen zu können. Doch das ist genauso unpräzise wie die mangelnde Unterscheidung zwischen Korrektur (correction) und Korrekturmaßnahme (corrective action).

Es ist daher irreführend, von einem „CAPA-Prozess“ zu sprechen. Auch zeugen Aussagen wie „Der CAPA-Prozess beginnt mit der Identifizierung des Problems“ oder „Der Prozess beginnt, wenn eine Abweichung oder ein Fehler auftritt“ von einem unzureichenden Verständnis!

Hersteller benötigen i.d.R. mehrere Prozesse, um die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen.

Dieser Artikel definiert die Begriffe und hilft, Abweichungen in Audits und illegale Vermarktung von Produkten zu vermeiden, die durch diese Begriffsverwechslungen entstehen. Er nennt die regulatorischen Anforderungen und erläutert an Beispielen, wie die Begriffspaare „corrective action“ und „correction“ sowie „corrective action“ und „preventive action“ zu unterscheiden sind.

1. Korrektur – Correction

Definition

Die ISO 9000 definiert den Begriff „Korrektur“ (correction) wie folgt:

„Maßnahme zur Beseitigung einer erkannten Nichtkonformität“

Quelle: ISO 9000:2015 3.12.3

„action to eliminate a detected nonconformity“

Quelle: ISO 9000:2015 3.12.3

Beispiele für Korrekturen

  • Zu langes Bauteil kürzen
  • Software-Bug beseitigen
  • Medizinprodukt in die richtige Klasse einstufen

2. Korrekturmaßnahme – Corrective Action

a) Korrekturmaßnahme bei ISO 9000 und ISO 13485

Definition

Die ISO 9000 definiert den Begriff „Korrekturmaßnahme“ (corrective action) wie folgt:

„Maßnahme zum Beseitigen der Ursache einer Nichtkonformität und zum Verhindern des erneuten Auftretens“

Quelle: ISO 9000:2015 3.12.2

„action to eliminate the cause of a nonconformity and to prevent recurrence“

Quelle: ISO 9000:2015 3.12.2

Das Ziel von Korrekturmaßnahmen ist somit, nicht den Fehler, sondern die Ursache eines bereits aufgetretenen Fehlers zu beseitigen und damit sicherzustellen, dass solche Fehler nicht noch einmal auftreten.

Umgangssprachlich werden Maßnahmen, die sicherstellen sollen, dass ein bereits aufgetretener Fehler nicht noch einmal vorkommt, oft als Vorbeugungsmaßnahmen bezeichnet. Es handelt sich dabei aber nicht um eine „preventive action“ im Sinne der Definition.

Beispiele für Korrekturmaßnahmen

  • Die fehlerhafte Einstellung einer Produktionsmaschine (z. B. CNC-Fräse) ändern, damit das Bauteil künftig die richtige Länge hat
  • Nach einem Softwarefehler die Kodierrichtlinien überarbeiten, damit der Fehler nicht mehr (so wahrscheinlich) auftritt
  • Nach einem Datenverlust ein neues Datenschutzkonzept etablieren
  • Nach einer fehlerhaften Klassifizierung eine Weiterbildung für diejenigen Personen verbindlich durchführen, die weitere Produkte klassifizieren
  • Die Endprüfung automatisieren, damit die Dokumentation der Prüfergebnisse nicht erneut vergessen werden kann

b) Korrekturmaßnahme gemäß MDR und IVDR

Leider haben MDR und IVDR die Definition des Begriffs Korrekturmaßnahme nicht von der ISO 9000 bzw. ISO 13485 übernommen:

„Maßnahme zur Beseitigung der Ursache eines potenziellen oder vorhandenen Mangels an Konformität oder einer sonstigen unerwünschten Situation“

Quelle: MDR Artikel 2

„action taken to eliminate the cause of a potential or actual non-conformity or other undesirable situation“

Quelle: MDR Artikel 2

Diese Definition ist sehr unglücklich, weil sie die Beseitigung der Ursache eines potenziellen Mangels und die Beseitigung der Ursache eines vorhandenen Mangels vermischt. Unter der Beseitigung der Ursache eines potenziellen Mangels versteht man üblicherweise eine Vorbeugungsmaßnahme.

Bedauerlicherweise verwenden die MDR und IVDR neben dem Begriff Korrekturmaßnahme auch noch den Begriff Sicherheitskorrekturmaßnahme.

„eine von einem Hersteller aus technischen oder medizinischen Gründen ergriffene Korrekturmaßnahme zur Verhinderung oder Verringerung des Risikos eines schwerwiegenden Vorkommnisses im Zusammenhang mit einem auf dem Markt bereitgestellten Produkt“

Quelle: MDR Artikel 2

Obwohl weder die MDR noch die IVDR den Begriff „Vorbeugungsmaßnahme“ definieren, verwenden sie ihn, allerdings immer nur im Zusammenspiel „Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahme“. Weshalb das Vermischen dieser Begriffe ein Problem ist, führt dieser Artikel weiter unten aus.

3. Vorbeugungsmaßnahme – Preventive Action

Definition

Die ISO 9000 definiert den Begriff „Vorbeugungsmaßnahme“ (preventive action) wie folgt:

„Maßnahme zur Beseitigung der Ursache einer möglichen Nichtkonformität oder einer anderen möglichen unerwünschten Situtation“

Quelle: ISO 9000:2015 3.12.1

„action to eliminate the cause of a potential nonconformity or other potential undesirable situation“

Quelle: ISO 9000:2015 3.12.1

Eine Vorbeugungsmaßnahme (preventive action) soll künftige Fehler vermeiden, die noch nicht aufgetreten sind.

Beispiele für Vorbeugungsmaßnahmen

Vorbeugungsmaßnahme können das Design eines Produkts betreffen, um dessen Sicherheit zu erhöhen, z. B.:

  • Wahl eines anderen Werkstoffs oder anderer Bauteile
  • Verwendung einer besser lesbaren Schriftart auf einer Benutzerschnittstelle
  • Wertebereichsprüfung von Eingabewerten
  • Einschränkung des Verwendungszwecks
  • Änderung der Systemarchitektur, z. B. Einführung eines Watchdogs

Andere Maßnahmen können das Qualitätsmanagement betreffen, z. B.:

  • Bessere Qualifizierung von Mitarbeitern
  • Verbesserung eines Prozesses, z. B. des Entwicklungsprozesses
  • Einführen zusätzlicher Code-Reviews
  • Überarbeitung der Checkliste zur Überprüfung von Software-Anforderungen
  • Einfordern einer neuen Metrik für die statische Code-Analyse

Würden Sie eine dieser Maßnahmen ergreifen, um einen bereits aufgetretenen Fehler künftig zu vermeiden, wäre dies keine Vorbeugungsmaßnahme, sondern eine Korrekturmaßnahme. Mit anderen Worten:

Sie können keine Vorbeugungsmaßnahme (preventive action) mehr ergreifen, wenn das Problem bereits aufgetreten ist. Wenn Sie nach dem Auftreten des Problems durch eine neue Maßnahme sicherstellen, dass das Problem nicht erneut auftritt, ist das eine Korrekturmaßnahme (corrective action). Beide Maßnahmen haben das gleiche Ziel: ein künftiges Problem zu vermeiden.

Weil die meisten Hersteller meist erst reagieren, wenn Probleme bereits aufgetreten sind, gibt es viele „corrective actions“ und nur wenige „preventive actions“.

4. Regulatorische Anforderungen an Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen

a) ISO 13485

Die ISO 13485 fordert in Kapitel 8.5 („Verbesserung“) sowohl die „corrective actions“ (Kapitel 8.5.2 „Korrekturmaßnahmen“), als auch die „preventive actions“ (Kapitel 8.5.3 „Vorbeugungsmaßnahmen“).

Die Hersteller müssen Prozesse dafür definieren, Aufzeichnungen führen und eine Begründung angeben, wenn sie bei einer Kundenreklamation keine Korrektur- oder Vorbeugungsmaßnahme ergreifen.

Organisationen müssen sowohl bei Korrekturmaßnahmen als auch bei Vorbeugemaßnahmen deren Wirksamkeit nachweisen. Daher müssen das die jeweiligen Verfahrensanweisungen Wirksamkeitsprüfungen einfordern.

Allerdings schwächt die ISO 13485 bei den Vorbeugemaßnahmen diese Forderung mit den Worten „soweit angemessen“ ab. Falls eine Wirksamkeitsprüfung nicht angemessen ist, müsste die Organisation dies begründen.

b) FDA

Die FDA fordert „corrective and preventive actions“ (CAPA) in 21 CFR part 820.100. Die Anforderungen entsprechen im Wesentlichen der ISO 13485.

Die FDA ersetzt den 21 CFR part 820 weitgehend durch eine Referenz auf die ISO 13485. Damit gleichen sich die Anforderungen an die Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen (CAPA) vollständig.

c) MDR

Die MDR und in gleicher Weise die IVDR stellen Anforderungen an die Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahme (CAPA), die im deutschen Text auch als „korrektive und präventive Maßnahmen“ übersetzt sind. Dazu zählen:

  • Das QM-System muss diese Maßnahmen regeln (Artikel 10).
  • Dies müssen die Benannten Stellen auditieren.
  • Die Hersteller müssen notwendige Korrekturmaßnahmen durchführen (Artikel 10).
  • Dabei müssen Händler, Importeure und Bevollmächtigte mitwirken.
  • Die Hersteller müssen „Sicherheitskorrekturmaßnahmen“ an die Behörden melden.
  • Die Hersteller sind verpflichtet, anhand der Post-Market-Daten über notwendige Korrektur- und Präventivmaßnahmen zu entscheiden (u. a. MDR Artikel 83 ff. bzw. IVDR Artikel 78 ff.).
  • Bei klinischen Prüfungen müssen die Sponsoren die Korrekturmaßnahmen melden.

d) GHTF

Die GHTF hat ein Guidance-Dokument mit dem Titel Quality management system –Medical Devices – Guidance on corrective action and preventive action and related QMS processes veröffentlich, das sehr lesenswert ist. Bei den Definitionen greift das Dokument auf die ISO 9000 zurück, allerdings auf die Ausgabe 2005.

Einige der Vorschläge, wie die Vorgaben der ISO 13485 umgesetzt werden können (z. B. zur Ursachenanalyse), finden sich auch im Practical Guide zur ISO 13485. Auditoren nutzen beide Dokumente.

Die Guidance der GHTF ist kostenfrei, der ISO-Guide kostet ca. 100 EUR.

5. Das CAPA-Problem

Aus dem angloamerikanischen Sprachraum ist der Begriff CAPA übernommen worden, der für „Corrective And Preventive Action“ steht. Die Vermischung dieser Maßnahmen ist aber aus mehreren Gründen problematisch.

a) Problem mit der Verfahrensanweisung

Einige Firmen erstellen eine Verfahrensanweisung (SOP) mit dem Titel CAPA, in der sie (nur) ein gemeinsames Verfahren für die Korrekturmaßnahmen und die Vorbeugungsmaßnahmen festlegen. Sie fordern darin teilweise sogar zu jeder Korrekturmaßnahme auch ein Vorbeugungsmaßnahme.

Dabei verfolgen sie den Gedanken, dass sichergestellt („vorgebeugt“) werden muss, dass das Problem nicht erneut in gleicher oder ähnlicher Weise auftritt. Aber diese Form der „Vorbeugung“ ist keine Vorbeugungs- sondern eine Korrekturmaßnahme.

Es kann auch deshalb nicht nur ein Verfahren geben, weil sich die Maßnahmentypen bezüglich der Inputs, Rollen oder regulatorischen Vorgaben unterscheiden.

Unterschiedliche Inputs

Das betriebliche Vorschlagswesen, die Liste künftiger Normen und Gesetze sowie technologische Trends und Kennzahlen weisen auf mögliche künftige Nichtkonformitäten hin. Sie sind aber noch nicht als Informationen aufzufassen, die auf bereits bestehende Nichtkonformitäten hinweisen und deren Ursachen der Hersteller als Korrekturmaßnahme also beseitigen müsste.

Das heißt, dass beispielsweise das betriebliche Vorschlagswesen ein Teil des Prozesses mit den Vorbeugemaßnahmen ist, aber nicht Gegenstand des Prozesses mit den Korrekturmaßnahmen.

Unterschiedliche Aktivitäten und Rollen

Eine Korrekturmaßnahme verlangt andere bzw. zusätzliche Aktivitäten und ggf. Rollen als eine Vorbeugungsmaßnahme:

  • Die Ursachenanalyse bei Korrekturmaßnahmen kann sich von jener bei Vorbeugungsmaßnahmen unterscheiden: Bei einer Korrekturmaßnahme weiß man, dass es eine Nicht-Konformität gibt. Damit steht auch fest, dass mindestens eine Ursache dafür existiert. Bei einer Vorbeugungsmaßnahme sucht man die Ursachen einer potenziellen Nichtkonformität.
  • Die Entscheidung über Behördenmeldungen gibt es i. d. R. nur bei Korrekturmaßnahmen.

Es gibt viele Methoden, um Ursachen von bereits aufgetretenen Fehlern zu ergründen, z. B. die 5-Why-Methode. Diese Methoden lassen sich meist auch anwenden, um die Ursachen noch nicht aufgetretener Fehler zu finden: „Wie könnte es dazu kommen, das XY passiert?“

Unterschiedliche regulatorische Vorgaben

Die ISO 13485 hat sehr genaue Vorgaben bezüglich des Umgangs mit Nichtkonformitäten. Dadurch hat der Hersteller bei Korrekturen und Korrekturmaßnahmen weniger Freiheitsgrade als bei Vorbeugungsmaßnahmen.

Hätten die MDR und IVDR die Begriffsdefinitionen der ISO 13485 übernommen, würde die Diskussion der Frage überflüssig, ob die Korrekturmaßnahmen gemäß MDR der Vereinigungsmenge von Korrekturmaßnahmen und Vorbeugungsmaßnahmen gemäß ISO 13485 entsprechen.

b) Problem mit „non-significant changes“

Die MDR gewährt bei „non-significant changes“ Übergangsfristen. Ob eine Änderung als nicht signifikant eingestuft wird, hängt laut MDCG davon ab, ob eine Korrekturmaßnahme vorliegt oder nicht.

Abb. 1: Das MDCG-Dokument definiert, wann eine Design-Änderung „non-significant“ ist. Das ist bei Korrekturmaßnahmen der Fall. Und bei Vorbeugungsmaßnahmen? (Quelle: MDCG 2020-3)
Hinweis: Zwischen dem No-Zweig bei der Frage „Design change releted to corrective actions*?“ und dem unteren Kästchen gibt es im Original weitere Fallunterscheidungen, die hier nicht abgebildet sind.

Sind Vorbeugungsmaßnahmen nun auch als „non-significant design changes“ zu verstehen? Das würde den Herstellern viele Möglichkeiten eröffnen. Oder unterscheidet die MDR jetzt doch präzise zwischen Korrekturmaßnahmen und Vorbeugungsmaßnahmen?

Präzise Begriffsdefinitionen und eine konsequente Verwendung dieser Begriffe würden solche Fragen erübrigen.

6. Fazit

Die klare Trennung von Korrektur (correction), Korrekturmaßnahme (corrective action) und Vorbeugungsmaßnahme (preventive action) ist sinnvoll und sollte von Herstellern unbedingt beachtet werden. All diese Tätigkeiten müssen durch Verfahrensanweisungen geregelt sein. Ein Zusammenlegen der Prozesse/Verfahren für die Korrekturmaßnahmen und Vorbeugemaßnahmnen als „CAPA“ ist nicht angebracht.

Dass ausgerechnet die EU-Verordnungen MDR und IVDR diese konzeptionelle Integrität zerstören, ist ärgerlich.


Das Johner Institut unterstützt Sie dabei, schlanke MDR-, IVDR- und FDA-konforme QM-Systeme zu etablieren, die bei Audits und Inspektionen bestehen.


Änderungshistorie

  • 2024-06-26: Hinweisboxen zu Beginn des Artikels sowie im Kapitel 4.a) ergänzt und Fazit überarbeitet
  • 2023-10-06: Beispiele ergänzt, Hinweisboxen eingefügt
  • 2023-05-31: Redaktionelle Änderungen
  • 2021-02-09: Beitrag vollständig überarbeitet.
  • 2021-02-10: Link zum IMDRF Dokument und dem Practical Guide zur ISO 13485 ergänzt



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